"Ein Roman über Glaube, Identität und die fragile Grenze zwischen Tradition und Freiheit."
„Die Schläferin“ führt Leser:innen in das Leben der jungen Aliya, die in Mossul unter der Herrschaft des IS aufwächst. Schon auf den ersten Seiten zeichnet Ines Allerheiligen ein eindringliches Bild einer Stadt, in der Hitze, Staub und Angst das tägliche Leben bestimmen. Mit einer Sprache, die atmosphärisch dicht und zugleich klar bleibt, entsteht ein kraftvolles Panorama zwischen Unterdrückung, Hoffnung und innerer Stärke.
Inhalt und Themen
Aliya ist sechzehn Jahre alt, als sie mit dem Islamischen Staat groß wird – eine Welt, in der Frauen kaum eine Stimme haben und Bildung nur den Männern vorbehalten ist. Trotz der Einschränkungen sucht Aliya nach Erkenntnis und nach Sinn. Sie liest heimlich in den Schulbüchern ihres Bruders und beginnt, über das Leben jenseits der Mauern ihrer Stadt nachzudenken.
Als sie verheiratet wird und nach London zieht, beginnt ein zweites Kapitel ihres Lebens: aus dem Schatten der Tradition tritt sie in eine fremde, westliche Welt – geprägt von neuen Freiheiten, aber auch von Einsamkeit und innerer Zerrissenheit. London steht als Symbol für den Zusammenstoß zweier Kulturen: einer Frau, die gelernt hat zu gehorchen, und einer Gesellschaft, die Selbstbestimmung erwartet.
Die Autorin zeigt diesen Konflikt feinfühlig und vielschichtig – ohne zu verurteilen, sondern mit stillem Mitgefühl für ihre Protagonistin. Besonders berührend sind die Szenen, in denen Aliya versucht, zwischen Glaube und Selbstfindung ihren Weg zu finden.
Stil und Sprache
Ines Allerheiligen schreibt in einem erzählerisch dichten, filmischen Stil. Jede Szene ist detailreich beobachtet, vom Staub auf den Straßen Mossuls bis zum gedämpften Licht in einem Londoner Treppenhaus. Sie schafft es, politische Themen in menschliche Erfahrungen zu übersetzen. Dabei bleibt die Sprache zugänglich, ruhig und zugleich kraftvoll – getragen von einer inneren Spannung zwischen Schönheit und Schmerz.
Die Autorin verzichtet auf plakative Dramatik und vertraut stattdessen auf die emotionale Wirkung der Bilder. Dadurch entfaltet sich eine stille Intensität, die noch lange nachklingt.
Wirkung und Bedeutung
„Die Schläferin“ ist weit mehr als ein Kultur- oder Migrationsroman. Es ist eine Geschichte über Erwachen – über die Kraft, trotz Angst und Enge einen eigenen Standpunkt zu finden. Aliya wird zur stillen Heldin einer Generation zwischen zwei Welten.
Das Buch berührt besonders, weil es reale Themen aufgreift: religiöse Prägung, weibliche Selbstbestimmung, Liebe, Spiritualität und Identität in einem globalen Spannungsfeld. Die Erzählung wirft leise, aber eindrückliche Fragen auf:
– Was bedeutet Freiheit, wenn sie alles Vertraute bedroht?
– Kann Glaube Halt geben – oder wird er zum Käfig, wenn er instrumentalisiert wird?
– Und wann beginnt wahres Erwachen?
Fazit
Ein eindrucksvoller, mutiger Roman, der zeigt, dass Schlafen und Erwachen nicht nur körperliche Zustände sind, sondern seelische. Ines Allerheiligen schenkt ihrer Figur Würde, Tiefe und eine unverwechselbare Stimme.